Was macht das gute Leben aus?
Der Klimawandel ruft uns zu einer tiefgreifenden Transformation auf. Es geht nicht nur um den Austausch fossiler Energieträger. Er fordert dazu auf, die grundlegende Beziehung zwischen dem Selbst und dem Sein zu hinterfragen.
Um die Klimakrise erfolgreich zu bewältigen und das nachhaltige Fortbestehen unserer Spezies zu sichern, muss jeder Aspekt der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik auf ein neues Narrativ ausgelegt werden. Das Ziel dieses Narrativs ist es, unsere Ausgangssituation verständlich und greifbar offenzulegen um im zweiten Schritt tragfähige Handlungsoptionen zu entwickeln.
Über Jahrzehnte hat uns der Kapitalismus gelehrt: DU bist wichtig! Es geht um dein Wohl, deinen Spaß, deine Selbstverwirklichung. Du kannst immer mehr haben, mehr erreichen, es könnte dir immer besser gehen!
Auf der anderen Seite sehen wir uns immer häufiger mit den Konsequenzen dieses Weltbilds konfrontiert. Von welchem Seinszustand gehen wir aus, wenn wir andere Arten ausrotten, Böden, Wälder und Meere zerstören und die Natur als Ressourcenlager für den maximalen kurzfristigen Profit betrachten? Dieses Verhalten ist nicht auf das Individuum zurückzuführen, sondern untrennbar mit den tiefsitzenden Narrativen verbunden, den großen Erzählungen, die unsere Zivilisation legitimieren. Neben einem exponentiellen Verlust an Biodiversität und Lebensraum, irreparabler Zerstörung und Ausbeutung unserer Erde und einer bislang alternativlosen Abhängigkeit fossiler Ressourcen gibt es nämlich noch ein weiteres Opfer – uns selbst.
Wie kann es sein, dass die westliche Kultur so wohlhabend und sicher ist wie vermutlich keine andere Kultur der Menschheitsgeschichte, sämtliche Grundbedürfnisse im Übermaß befriedigt werden und zeitgleich immer mehr Menschen an Depressionen zugrunde gehen? Wie kann es sein, dass wir immer weniger Kinder bekommen, immer mehr Menschen allein leben, sich Krankheiten wie Krebs, Burnout, ADHS, Diabetes, Allergien, Neurosen etc. häufen – die wohlgemerkt vor wenigen Jahrzehnten kaum bekannt waren? Ist es nicht auffällig, dass die meisten Zivilisationskrankheiten ihren Ursprung in der Psyche des Menschen haben?
Unsere Gesellschaft verkümmert – die individualistische Leistungserwartung entfremdet uns von unseren Mitmenschen, schürt das Ego, treibt das Kollektiv auseinander. Parallel dazu leben wir in einer zunehmend von der Natur separierten Welt. Wir leben nicht mehr mit der Natur – sie umgibt uns lediglich. Die Umwelt, nicht Mitwelt. Stattdessen bewegen wir uns in einer Scheinwelt der Produkte, Medien und Innenräume, was uns von unserer natürlichen Lebensform bis zur hoffnungslosen Alternativlosigkeit entfremdet. Können Sie sich noch eine Welt ohne klassische Lohnarbeit vorstellen, einen Gemüsegarten anlegen oder auch nur drei Vögel an ihrem Ruf und drei Bäume an ihren Blättern erkennen? Dieser Grad an Entfremdung ist mittlerweile normal.
Wir fühlen eine Leere, ein Gefühl der Verarmung, einen Hunger nach etwas, das wir nicht benennen können. Übertragen auf Geld oder Güter treibt uns dieser Hunger zu immer intensiveren Zerstörungszyklen. Eine Folge hiervon ist eine immer tiefere Einsamkeit, ein Schmerz, den nichts in der Scheinwelt der Produkte, der Innenräume oder der sozialen Medien lindern kann.
Bereits vor über hundert Jahren (1913) sprach Ludwig Klages auf dem ersten freideutschen Jugendtag von der Entfremdung des Menschen von der Natur – ein Statement, dass trotz seines Alters so aktuell wie nie zuvor erscheint:
„Die Mehrzahl der Zeitgenossen, in Großstädten zusammengesperrt und von Jugend auf gewöhnt an rauchende Schlote, Getöse des Straßenlärms und taghelle Nächte, hat keinen Maßstab mehr für die Schönheit der Landschaft, glaubt schon Natur zu sehen beim Anblick eines Kartoffelfeldes und findet auch höhere Ansprüche befriedigt, wenn in den mageren Chausseebäumen einige Stare und Spatzen zwitschern […] Was der Reichsdeutsche Hochwald nennt, ist jung aufgeforstetes Stangenholz; der wirkliche Hochwald, der bei uns zur frommen Sage wurde, geht auf dem ganzen Erdball seinem Ende entgegen. […]“
Wir versuchen durch Wachstum Bedürfnisse zu erfüllen – doch scheitern wir, da diese Bedürfnisse qualitativer Natur sind. Auf die tiefgreifendsten menschlichen Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Liebe, Wertschätzung, Würde, Verbundenheit oder Selbstwirksamkeit wird mir Imitaten reagiert, die vielleicht vorübergehend betäuben, letztlich aber das Verlangen nur noch erhöhen. Dieses Trauma der Entbehrung ist ein weiterer elementarer Treiber unserer Konsumsucht.
Ökologische Heilung verlangt deshalb von unserer Gesellschaft, diese Mangelsymptome zu hinterfragen und sich in Richtung qualitativer Entwicklung zu orientieren. Dies erfordert ein erhebliches Umdenken, da die uns leitenden Narrative – vom ökonomischen bis zum wissenschaftlichem – auf quantitativem Denken beruhen.

Institut für Konsum- und Nachhaltigkeitsforschung
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